Offenbach-Post, 15. November 2008
Wenn die einsame Wartehalle zu einem Ort des Grauens wird
Die Bürgeler Theatergruppe Kirchenmäuse spielt heute noch zweimal den "Geisterzug"
Von Veronika Szeherova
Offenbach (ddü) · Was tun, wenn man mit ein paar Fremden in einer stürmischen Nacht auf einen gottverlassenem Bahnhof gelangt, der Zug erst am Morgen kommt und das nächstgelegene Wohnhaus einen siebenstündigen Fußmarsch entfernt ist? Was tun, wenn sich die Wartehalle als ein Ort des Grauens entpuppt...
Die Theatergruppe "Kirchenmäuse" bewies wieder den richtigen Riecher für das Stück. "Der Geisterzug" des britischen Dramatikers Arnold Ridley (geschrieben 1923) bescherte bei der Premiere einen fast bis auf den letzten Platz besetzten Saal in der Gustav-Adolf-Gemeinde.
Kanada zu Zeiten der amerikanischen Prohibition: Die Passagiere eines Zugs von den USA nach Kanada haben an einem schäbigen Grenzbahnhof vorerst Endstation. Durch einen unachtsamen Passagier, der wegen seines fortfliegenden Hutes die Notleine gezogen hat, haben sie den Anschlusszug verpasst. Eine Nacht im Warteraum des steht ihnen bevor, denn der Stationsvorsteher Saul Hodgkin (Andreas Friedel) versichert ihnen, dass es weder eine Unterkunft in der Nähe gebe, noch Ersatzzüge oder gar ein Automobil.
Das Ehepaar Elsie und Richard Winthrop (Elke Kraft, Rüdiger Bock) liegt wegen der Situation mal wieder im Clinch und beschließt die Scheidung, während einfrisch verheiratetes Ehepaar der verhunzten Hochzeitsnacht nachtrauert. "Ich habe Hunger, du bist müde, und uns beide verlangt es nach... unserem Hotelzimmer!", so der Bräutigam Charles Murdock (Jaro Wolters), während seine Peggy (Sabrina Grab) sich an ihn schmiegt. Mit in der Klemme sitzt auch die ältere Dame Miss Bourne (Meike Grabo), die mit ihrem Papagei unterwegs ist. Und natürlich Teddie Deakin (Alexander Lühn), der Schuldige an dem Schlammassel. Kein Wunder, dass die anderen ihn nicht gerade mit Begeisterung im Warteraum empfangen. Durch seine albernen Sprüche und keinerlei gezeigte Reue macht er die Situation auch nicht besser.
So bitten die Passagiere den Stationsvorsteher Hodgkin, er möge über Nacht bei ihnen bleiben. Er ist von der Idee nicht angetan und erklärt auch warum: "Nachts spukt e s auf diesem Bahnhof!" Und er erzählt die Legende vom Geisterzug, der immer erscheinen soll, seit sich vor einiger Zeit ein schrecklicher Unfall ereignet hat. Der frühere Bahnhofsvorsteher hatte vergessen, die Brücke zu schließen. Ein Zug kam angefahren und raste ungebremst in den Abgrund. Die Toten wurden genau in diesem Warteraum aufbewahrt. Seitdem fahren keine Nachtzüge mehr, nur der Geisterzug, und heute Nacht wäre es bestimmt wieder soweit. Hodgkin geht weg, kommt aber nicht weit - er stirbt mit einer brennenden Lampe in der Hand, wie sein Vorgänger...
In Miss Bourne wächst die Panik und sie lehnt den Cognac nicht ab. "Ich bin strenge Abstinenzlerin!" - "Ja, ja, das sind die Schlimmsten!" Die Zuschauer lachen herzlich an dieser witzigsten Stelle des Stücks, und Merke Grabo spielt die steigenden Promille gar wunderbar. Sie soll erst am Ende des Stücks wieder aufwachen. Und dann sagt sie: "Wie gut, dass nichts Aufregendes passiert ist!"
Damit täuscht sie sich aber ganz gewaltig. Denn es passiert noch sehr viel Spannendes und Unterhaltsames. Es tauchen auch noch weitere ruhelose Seelen auf...
Die Kirchenmäuse spielen mit Elan und Begeisterung. Die schauspielerische Leistung ist auf hohem Niveau, und die Ohren freuen sich über eine schöne, gewählte Sprache. "Der Geisterzug" wird heute noch um 15 und um 19.30 Uhr im Gemeindesaal einfahren, der Eintritt ist frei.
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